Brandseeschwalbe

Unstet, sensibel und störungsanfällig
Die in wenigen Kolonien mit wechselndem Erfolg an der Nord- und Ostseeküste brütende Brandseeschwalbe ist der „Seevogel des Jahres“

Seeschwalben sind die kleineren Verwandten der Möwen. An den norddeutschen Meeresküsten lassen sich zwischen Frühling und Herbst von beiden Vogelgruppen jeweils vier Arten am häufigsten blicken: Bei den Möwen sind es die Silbermöwe, die Sturmmöwe, die Heringsmöwe und die - auch im Binnenland vorkommende - Lachmöwe, unter den Seeschwalben sind es die Flußseeschwalbe ( auch im Binnenland anzutreffen), die Küstenseeschwalbe, die Brandseeschwalbe und die Zwergseeschwalbe. Die Flußseeschwalbe ist mit bis zu 10.500 Brutpaaren deutschlandweit die häufigste Art, gefolgt von der Brandseeschwalbe mit gut 7500 Brutpaaren im vergangenen Jahr und der Küstenseeschwalbe mit 4000 bis 5000 Brutpaaren. Die Zwergseeschwalbe brachte es zwischen 2005 und 2009 nur noch auf 600 bis 650 Paare. Obwohl sie so selten geworden ist, hat der im schleswig-holsteinischen Ahrensburg ansässige „Verein Jordsand zum Schutze der Seevögel und der Natur“, der in Norddeutschland 20 Naturschutzgebiete betreut, nicht die Zwergseeschwalbe, sondern die Brandseeschwalbe 2015 zum „Seevogel des Jahres“ erkoren.Dafür gibt es gute Gründe. Wegen ihrer ausgefallenen Lebensweise genießt „Sterna vicensis“, die auf der Roten Liste der gefährdeten Vogelarten steht, seit jeher die besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge der Naturschützer. In jedem Frühjahr, zwischen März und Mai, erwarten sie mit Spannung, wie viele der „Sandwich-Meerschwalben“ aus ihren afrikanischen Winterquartieren an ihre wenigen traditionellen Nistplätze zurückkehren oder ob sie irgendwo an der Nord- oder Ostseeküste vorübergehend neue Brutreviere begründen. Sie kommen immer in größerer Schar, denn nur in dicht gedrängter Gemeinschaft haben sie die Aussicht, erfolgreich ihre Jungen auszubrüten und aufzuziehen. Dabei zeigen sich die mit einer Körperlänge von bis zu 43 Zentimetern größte der genannten vier Seeschwalbenarten besonders zu Beginn der Brut als besonders empfindlich und nervös. Schon bei geringsten Störungen geben sie den gewählten Brutplatz wieder auf. So schnell sie sich irgendwo in Meeresnähe auf einer Fläche mit wenig Vegetation niederlassen, ihre flachen Nestmulden im Abstand von nur wenigen Zentimetern zwischen den Paaren in den Sand drehen und in der Regel zwei gesprenkelte Eier hineinlegen, so schnell sind sie in einer weißen Federwolke auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Es können Störungen durch Menschen, durch Beutegreifer wie Füchse, Minks und Waschbären oder Angriffe von großen Möwen, aber auch ein plötzliches Hochwasser mit Überschwemmung sein, die zur überstürzten Aufgabe des Brutplatzes führen. Nur wenn das zeitig im Frühjahr geschieht, versuchen es die Brandseeschwalben an einem anderem, oftmals weit entfernten Ort, mit einem Zweitgelege.Es gibt an der Nordsee traditionelle Brutplätze der Vögel mit dem weiß und hellgrau gefärbten Gefieder, der zur Balz- und Brutzeit schwarzen Kopfhaube mit Schopf , dem in einer gelben Spitze auslaufenden spitzen dunklen Schnabel und den schwarzen Beinen und Füßen. Auf der Hallig Norderoog im nordfriesischen und auf der Insel Baltrum im ostfriesischen Wattenmeer befinden sich seit Jahren die größten Kolonien. An beiden Plätzen wurden in diesem Jahr jeweils rund 2800 Brutpaare gezählt. Das sind etwa zehn Prozent weniger als 2014 (Norderoog: 3025, Baltrum: 3211 Paare). Ob sich die im Vergleich mit den Vorjahren an insgesamt sechs Standorten angestiegene Gesamtzahl von 7589 Paaren aus dem vergangenenen Jahr verringert hat, wird sich erst zeigen, wenn im Herbst alle Zahlen aus den verschiedenen Schutzgebieten vorliegen. Auch von der Ostseeküste mit zwei Brutplätzen, an denen 2014 allerdings nur noch 230 Paare nisteten. Die in Deutschland brütenden Brandseeschwalben machen mehr als zehn Prozent des gesamten atlantischen Bestandes aus, der mit 55000 bis 57000 Brutpaaren angegeben wird. Im 19. Jahrhundert soll allein auf Norderoog die unvorstellbare Zahl von mehr als 500.000 Paaren der Brandseeschwalbe gebrütet haben.

Doch es kommt nicht nur auf die Anzahl der Vögel an, die Ende April und im Mai ein Nest anlegen. Mindestens genauso wichtig ist der Bruterfolg. Wenn 24 bis 26 Tage nach der Ablage der Eier die Jungen schlüpfen, folgen vier bis fünf kritische Wochen, bis sie flügge werden. Anfangs bewacht einer der Altvögel die Jungen rund um die Uhr, während der Partner auf das Meer hinausfliegt, um Nahrung zu suchen. Haben sie die Brandungszone überflogen, legen sie bisweilen zwanzig oder dreißig Kilometer zurück, bevor sie im Stoßtauchen eins ihrer Beutetiere mit dem Schnabel ergreifen: zehn bis 15 Zentimeter lange Sandaale, Heringe und Sprotten ( eine Heringsart ) sind die bevorzugten Opfer. Mit jeweils nur einem Fisch machen sie sich dann auf den Rückweg zur Kolonie. Ihre langen schmalen Flügel befähigen sie zu einem schnellen eleganten Flug. Akrobatische Fähigkeiten in der Luft müssen sie auch immer wieder unter Beweis stellen, um Möwen und andere Vögel abzuwehren, die ihnen die Beute streitig machen wollen. Besonders Lachmöwen,. mit denen sie gerne in enger Nachbarschaft brüten, weil diese ihnen die größeren Möwen als Eier- und Jungenräuber vom Leibe halten, holen sich gerne ihren Tribut durch den Raub von Beutefischen.Obwohl ihre wenigen Brutkolonien isoliert und in geschützten Gebieten liegen, lassen sich die Brandseeschwalben an der Nordseeküste dennoch immer wieder mal beobachten. Auf ihrer großräumigen Nahrungssuche überfliegen die Vögel mit der Spannweite ihrer spitz auslaufenden Schwingen von bis zu einem Meter große Bereiche des Wattenmeeres und suchen besonders gerne die Brandungszone nach Beutetieren ab. (Daher auch ihr deutscher Name.) Gelegentlich folgen sie, zusammen mit anderen Seeschwalben und Möwen, für eine Weile den Ausflugschiffen und Krabbenfischerbooten.

In einer Brutkolonie von Brandseeschwalben geht es immer wieder turbulent zu. Das beginnt mit der Balz, bei denen sich Männchen und Weibchen mit hängenden Flügeln und gesträubten Kopffedern auf engem Raum tripppelnd umkreisen. Auch sonst herrscht ständig eine gewisse Unruhe. Neben der Abwehr von Möwen geraten benachbarte Vögel untereinander immer wieder aneinander.. Mit ihren rauhen und lauten „kerrek-kerrik“ - Rufen sorgen sie für einen permanenten Lärmpegel. Von Zeit zu Zeit erhebt sich die ganze Brutgesellschaft in die Luft, fliegt eine oder zwei Runden und landet schließlich wieder geschlossen bei ihren Gelegen oder Küken. Ob diese konzertierten Starts und Landungen Irritationen bei möglichen Feinden auslösen sollen, das Gemeinschaftsgefühl stärken oder der Ausdruck ständiger Nervosität sind, ist bislang ungeklärt. Sind die anfangs tarnfarbenen Jungen aus dem Gröbsten heraus, werden sie immer hungriger. Sie bilden Kükengemeinschaften, die sich in der kargen Vegetation zu verstecken versuchen. Dann sind beide Altvögel von früh bis spät mit der zeitaufwendigen Jagd auf Fische beschäftigt, von denen sie einen Teil zum Ausgleich ihres Kraftaufwandes selbst verzehren.Als Folge von Überfischung durch den Menschen und damit einhergehendem Nahrungsmangel sowie Belastung der Beutetiere durch Umweltgifte der Küstengewässer (letztere scheint in der jüngeren Vergangenheit zurückgegegangen zu sein) kommt es immer wieder zu Engpässen und Ausfällen bei der Jungenaufzucht. Gelegentliches Hochwasser mit entsprechenden Überschwemmungen verursachen in fast jedem Jahr hohe Verluste bis zum totalen Ausfall einer ganzen Generation junger noch nicht flügger Brandseeschwalben. Besonders gefährdet ist die Kolonie auf der Hallig Norderoog westlich von Hooge im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. In diesem Jahr, so weiß Christel Grave vom Verein Jordsand zu berichten, hat es bisher nur ein „Landunter“ auf begrenzter Fläche am 8. Juli gegeben, dem ein kleiner Teil des noch nicht flüggen Nachwuchses zum Opfer fiel. Die meisten Jungvögel sind mittlerweile flügge und können möglicherweise noch folgenden Überflutungen fliegend entkommen. Sie werden bis zum Zwischenzug, den viele der Vögel im Hochsommer und frühen Herbst nach Norden und Osten unternehmen, regelmäßig von ihren Eltern weiter versorgt. Auch auf der späteren Flugreise nach Süden, die manche Brandseeschwalbe über zehntausend Kilometer bis an den Indischen Ozean vor Südafrikas Küste führt, bleiben die Jungen im Gefolge der Altvögel. Im Alter von drei oder vier Jahren brüten sie zum ersten Mal. Sie können mindestens 24 Jahre alt werden. Beringungen haben gezeigt, dass manche Vögel zwischen den verschiedenen Teilpopulationen von Nordsee, Ostsee, Mittelmeer; Schwarzem und Kaspischem Meer hin- und herziehen und so für einen weiträumigen Genaustausch sorgen.
C.-A.v.T.