Eine Ziege am Himmel ist der Vogel des Jahres

Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) haben gestern - Freitag - in Berlin den Vogel des Jahres 2013 vorgestellt. Der diesjährigen Dohle folgt die Bekassine, eine von mehr als 80 weltweit vorkommenden Schnepfenarten. Der ungewöhnliche Name stammt aus dem Französischen und nimmt Bezug auf den langen Schnabel ("bec") des Bewohners von Feuchtgebieten: "Bécassine des marais" nennen ihn die Franzosen, "Common snipe" die Engländer. In Deutschland wurde der Vogel lange als Sumpfschnepfe bezeichnet, doch die Jäger gaben dem französischen Namen seit Jahrhunderten den Vorzug und sorgten schließlich für dessen Durchsetzung. Das erleichterte bei den vielen Namen für andere Schnepfen, die es in Europa gibt (Doppelschnepfe, Waldschnepfe, Zwergschnepfe, Uferschnepfe und Pfuhlschnepfe) die leichtere Unterscheidung. Aber wenn es um Namen geht, schlägt die Bekassine ohnehin alle Verwandten: Gut 70 verschiedene Bezeichnungen finden sich in manchen vogelkundlichen Büchern. "Himmelsziege" ist die wohl populärste unter ihnen.

Diesen für einen Vogel ungewöhnlichen Namen verdankt die Bekassine einem Geräusch, das die Männchen während ihres Balzfluges in der Luft mit den zwei abgespreizten äußeren Schwanzfedern erzeugen. Nachdem sie über ihrem Brutrevier in eine Höhe von mitunter mehr als 50 Meter aufgestiegen sind, lassen sie sich mit leicht angewinkelten Schwingen in die Tiefe fallen. Beim Sturzflug bringt der "Fahrtwind" die beiden ausgestellten Federn zum Vibrieren, so dass sie wie das Meckern einer Ziege klingen. Bis zu einer Stunde können manche Bekassinenmännchen ohne Unterlass auf- und abfliegen und so ein Weibchen auf sich und einen geeigneten Brutplatz am Boden aufmerksam machen. Landen sie schließlich im Gras auf feuchtem Untergrund, geht die Werbung mit lauten Rufen, die wie djeppe-djeppe, tücke-tücke-tücke oder ticka-ticka-ticka klingen, weiter. Jahrhundertelang wurde übrigens darüber erbittert gestritten, ob die Vögel die Meckerlaute mit der Stimme oder mit dem Gefieder erzeugen.

Besonders in der Morgen- und Abenddämmerung, ebenso in mondhellen Frühjahrsnächten gehörten noch bis vor knapp 50 Jahren auch in Deutschland über vielen Mooren, Sümpfen und Nasswiesen die eindrucksvollen Balzgeräusche zum weit verbreiteten Frühjahrskonzert der Vogelwelt. Von den einstmals mehr als 100.000 Brutpaaren sind bis heute zwischen 5500 und 6700 übrig geblieben. Alleine in den vergangenen 20 Jahren ist der Bestand um die Hälfte gesunken. In Schleswig-Holstein, dem einstmals wichtigsten deutschen Brutgebiet, ging der Brutbestand zwischen 1970 und 2000 um 90 % zurück.Um auf diese dramatische Entwicklung aufmerksam zu machen, wollen die Naturschutzverbände mit der Bekassine auf die Not aller derjenigen Vögel aufmerksam machen, die auf Feuchtgebiete als Lebensraum angewiesen sind. Denn die Trockenlegung von Mooren und Sümpfen, der Abbau von Torf, die intensive landwirtschaftliche Nutzung von ehemals naturnahen Wiesen und die allgemeine Verkehrserschließung haben maßgeblich zum Niedergang von vielen Vogelpopulationen beigetragen, die auf Staunässe und Schlammflächen in der Landschaft angewiesen sind.

Wie wichtig solche Biotope gerade für Schnepfenvögel sind, zeigt ein Blick nach Polen, wo es noch wesentlich mehr extensiv oder gar nicht genutztes Feuchtgrünland gibt: Zwei Drittel der auf 24000 bis 45000 geschätzten Brutpaare der Bekassine in Mitteleuropa ziehen ihre Jungen in Polen auf. Auf Gesamteuropa bezogen, ist auch diese Zahl eher bescheiden. Mit 930.000 wird der Mindestbestand angegeben, es können aber auch bis 1,9 Millionen Brutpaare sein. Es scheint so, dass sich die Art - vielleicht auch als Folge der Klimaveränderung - stärker nach Norden und Osten verlagert.

Die Bekassine, früher ein Allerweltsvogel, der aber wegen seiner heimlichen Lebensweise nur während der Balzzeit von März bis Anfang Juni auf sich aufmerksam macht, ist über große Teile der Erde verbreitet und hat im Verlauf der Entwicklung mehrere Arten und Unterarten gebildet, die sich aber recht ähnlich sind. Häufiger als zur Brutzeit lassen sich Bekassinen auf dem Zug beobachten. Viele der in Skaninavien und Osteuropa brütenden "Riedschnepfe" machen auf ihrem Flug in die Winterquartiere rund ums Mittelmeer und bis nach Westafrika eine Pause in Deutschland. Wo sie geeignete Biotope mit weichem Boden und Schlammflächen vorfinden, um darin mit ihrem bis zu sieben Zentimeter langen Schnabel nach Würmern, Insektenlarven und anderem Kleingetier zu suchen, unterbrechen sie ihren nächtlichen Zug und halten sich mitunter tagelang auf. In ihrem braunen, von weißen und gelblichen Streifen durchsetzten Gefieder sind sie selbst aus der Nähe schwer zu erkennen.

Nähert sich ein Mensch oder ein Fuchs, "drücken" sich gerne bis zum letzten Moment, um dann in reißendem Zickzackflug abzustreichen und den überraschten Störenfried auch noch mit lauten "ätsch-ätsch"- Rufen zu erschrecken. Für Jäger war das früher, als man noch auf "Lagerschnepfen" pirschte, eine Herausforderung an ihre Reaktionsgeschwindigkeit und Treffsicherheit. In ihrer berühmten zwölfbändigen "Naturgeschichte der Vögel Deutschlands" (1822 - 44) widmen Vater und Sohn Johann Andreas und Johann Friedrich Naumann der Jagd auf Bekassinen noch mehrere Seiten. Bekassinen zu schießen verbietet sich heute bei uns. Dennoch werden nach Angaben des Nabu jährlich in der Europäischen Union immer mehr als 500.000 durch Schrotkugeln getötet, überwiegend in den Durchzugs- und Winterrastgebieten. In milden Wintern bleiben manche Bekassinen auch in Mitteleuropa Heimlich wie auf dem Zug verhalten sich die knapp 30 Zentimeter langen Vögel mit den für Schnepfen realtiv kurzen Beinen zur Brutzeit. Außer den Aufmerksamkeit heischenden Balzflügen der Männchen, mit denen sie sowohl Nebenbuhlern als auch paarungsbereiten Weibchen ihr Revier anzeigen, sind die Vögel spätestens beim Anlegen des Bodennestes in Form einer tiefen Mulde im Gras darauf bedacht, wenig aufzufallen. Die endgültige Wahl des Nistplatzes trifft das Weibchen, das in der Regel vier ovale dunkelbraun oder grünlich gefärbte Eier mit rostroten oder braunen Flecken legt. Knapp drei Wochen brütet das Weibchen alleine.

Die Jungen im tarnfarbenen Daunengefieder schlüpfen gleichzeitig und verlassen das Nest nach einem Tag. Anfangs werden sie von den Eltern gefüttert. Mit ihrem "Stecher" und besonders dem am Ende biegsamen Oberschnabel holen sie die Insekten aus dem weichen Boden oder pflücken sie von den Gräsern und Binsen, um sie den Küken vor deren anfangs noch weichen Schnabel zu halten. Beide Eltern kümmern sich intensiv um den Nachwuchs und führen ihn, um die Gefahr des Gesamtverlustes der Brut zu mindern, getrennt durchs Revier. Wie die Waldschnepfen können Bekassinen ihre Dunenjungen im FIug über kurze Entfernungen transportieren, indem sie sie mit dem Schnabel an die Brust drücken. Im Alter von drei Wochen fliegen die Jungen bereits, wenn auch noch unsicher. Doch es dauert weitere zwei Wochen, bis sie einem Habicht oder Sperber mit einiger Flugakrobatik entkommen können. Mit etwas Glück erreichen sie ein wesentlich höheres Alter als die durchschnittliche Generationenlänge von knapp dreieinhalb Jahren: Eine beringte Bekassine hat es in freier Wildbahn auf 18 Jahre und drei Monate gebracht. C.-A.v.T.